Auf der WikiConvention in Nürnberg hatte ich die Gelegenheit, einen Vortrag von Friedel Völker zum Thema Stadt- und Regionalwikis zu besuchen. Bisher habe ich keine konkreten Erfahrungen mit diesen Plattformen, trug aber den Gedanken mit mir herum, dass diese Einrichtung vielleicht gar nicht so sinnvoll und zielführend ist, wie sie scheint. Im Grunde sind die Stadtwikis eine Mischung aus Veranstaltungskalender und Informationsportal, häufig wohl gegründet mit dem Anspruch, »sowas wie die Wikipedia« auch für die eigene Region aufzubauen.
Motivation ist – zumindest ist das mein Eindruck – in vielen Fällen, dass die dort bereitgestellten Inhalte als für die Wikipedia irrelevant oder das dortige Regelwerk und die qualitativen Ansprüche als nicht zielführend wahrgenommen werden, wobei diese Haltung auch oft kultiviert werden dürfte. In den kleinen Wikis entstehen und lagern meiner Ansicht nach aber oft Inhalte, die auch für die »große Schwester« von großem Interesse wären.
Der erste Blick ins Karlsruher Stadtwiki bestätigt den Eindruck. Bis auf die Veranstaltungshinweise auf der Hauptseite kann ich keinen enzyklopädischen Artikel entdecken, der nicht auch in die Wikipedia passen würde. Häufig sind die Einträge auch Kopien der entsprechenden Wikipedia-Artikel oder bauen darauf auf (Grötzingen), so dass hier zwangsläufig Redundanzen entstehen.
Zugegeben, die Akkordeonfreunde Grötzingen werden wohl kaum die »Relevanzhürde« der Wikipedia überspringen. Sofort stellt sich aber die Frage, ob der Stadtwiki-Artikel wirklichen Mehrwert bietet – die Website ist da deutlich informativer. Natürlich könnte man das alles auch ins Stadtwiki übernehmen, was aber wieder zu unnötigen Redundanzen führen könnte.
Überhaupt sind »Redundanz« und »Relevanz« für mich die entscheidenden Stichworte. Wie die meisten wohl wissen organisiere ich gerade zusammen mit vielen anderen aus der Community den Denkmal-Fotowettbewerb Wiki Loves Monuments, wo europäische Kultur- und Baudenkmäler dokumentiert werden. Ein Thema, mit dem ich mich vorher noch nie beschäftigt hatte, das aber enorm spannend ist. Es sind gar nicht so sehr die Häuser selbst, sondern die Geschichten ihrer Erbauung, ihrer Besitzer und Bewohner.
Lokal- und Regionalgeschichte hat häufig den Anschein von hinterwäldlerischem Traditionalismus, wozu diverse »Heimatvereine« das Ihre beitragen dürften. Tatsächlich aber ist dieses kaum zu überblickende Themenfeld – eine im weitesten Sinne wissenschaftliche Aufarbeitung vorausgesetzt – äußerst relevant. Und zwar nicht nur für die Menschen vor Ort, sondern gerade für den großen Zusammenhang: Eine Zeitepoche besteht immer aus der Summe unzähliger historischer Ereignisse auf unterschiedlichen Ebenen. Die großen Linien sind das eine, aber konkrete Beispiele auf unterer Ebene – also Alltagserfahrungen im weitesten Sinne – machen Geschichte erst verständlich.
Auch in der Wikipedia haben diese ihren Platz: Jedes denkmalgeschützte Objekt ist grundsätzlich »lemmafähig«, zusammen mit einem Übersichtsartikel zur Stadtgeschichte ergibt bereits das ein umfangreiches Bild, kommen alte Fotos und Scans noch älterer Drucke auf Commons hinzu, ist schnell ein Umfang und eine Qualität erreicht, die kein »analog« existierendes Archiv bietet. Außerdem sind die Inhalte weltweit und – ordentliche Backups mal vorausgesetzt – auch für sehr lange Zeit zugänglich.
Oberstes Ziel sollte in meinen Augen sein, genau das zu erreichen: Leichter Zugang, breites Publikum und möglichst viele Querverbindungen in allen Dimensionen. Und ob dafür Stadt- und Regionalwikis mit ihrem sehr begrenzten Mitarbeiterstamm und der ständigen Gefahr, das Rad zum zehntausendsten Mal neu zu erfinden, der richtige Ort sind, bezweifle ich nach wie vor.
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